Entwurf einer Wasserstoffstrategie 2.0 – geplante Maßnahmen für den Wasserstoffhochlauf bis 2030

Ziel der neugefassten Wasserstoffstrategie ist es, Deutschland bis 2030 zu einem internationalen Wasserstoff-Leitmarkt werden zu lassen. Der Markthochlauf von Wasserstoff und Derivaten soll beschleunigt und das Ambitionsniveau beim Aufbau einer heimischen Wasserstoffinfrastruktur deutlich erhöht werden. Wie im Koalitionsvertrag bereits vereinbart, sollen bis 2030 in Deutschland 10 GW statt ursprünglich 5 GW Elektrolyseleistung installiert werden – bisher sind allerdings nur Projekte im Umfang von 4,3 GW bis 2030 geplant. 

Dabei soll der Fokus langfristig auf grünem Wasserstoff liegen. Dieser wird „auf Dauer als einzig nachhaltig[e]“ Option (S. 4) gesehen. Anders als in der Wasserstoffstrategie von 2020 soll nach aktueller Fassung für eine Übergangszeit auch der Import von blauem Wasserstoff unter anderem aus Norwegen unterstützt werden. Blauer Wasserstoff wird als notwendige Brückentechnologie gesehen, um den steigenden Bedarf in Deutschland zu decken und eine wirtschaftliche Versorgung mit grünem Wasserstoff sicherzustellen (S.4). 

Geplante Maßnahmen – Was erwartet uns bis zum Jahr 2030?  

Erzeugung und Import - ausreichend (grünen) Wasserstoff zur Verfügung stellen 

Die Stärkung der heimischen Wasserstofferzeugung steht nach wie vor im Fokus der Wasserstoffstrategie. Um die bislang fehlende Ausbaubereitschaft anzureizen, soll 2023 das IPCEI-Förderbudget im Bundeshaushalt erhöht und damit Elektrolyseprojekte bis zu 2,2 GW ermöglicht werden. Außerdem sollen in den Jahren 2023 bis 2028 jährlich 500 MW für systemdienliche Elektrolyseprojekte an Land und auf See ausgeschrieben werden. Im Offshore-Bereich soll es zudem eine Förderausschreibung für Wasserstoff-Projekte in Zusammenhang mit dem Verfahren zur Ausschreibung der Fläche SEN-1 geben. Außerdem ist eine Vergrößerung der Flächen für die Offshore-Wasserstofferzeugung vorgesehen. Unter die Förderung der Erzeugung aus der heimischen Elektrolyseleistung fasst das BMWK außerdem die im Rahmen der „Renewable-Energy-Directive II“ (RED II) festgesetzten Treibhausgasvermeidungsquoten für fossile Kraftstoffe. Durch die Quoten auf der Abnehmerseite sollen Investitionen auf Erzeugerseite in insgesamt 2 GW Elektrolyseleistung für Anwendungen im Verkehrsbereich angereizt werden (S. 7). Zusätzlich zur Stärkung der heimischen Produktion grünen Wasserstoffs sind auch Maßnahmen für den Wasserstoffimport vorgesehen. Neben der (Weiter-)Entwicklung bereits bestehender und neuer Förderinstrumente (H2Global, IPCEI etc.), will das BMWK bis 2024 eine Importstrategie vorlegen mit Fokus auf Pipeline- und Schiffstransport (auch von blauem Wasserstoff). (S. 8). 

Transport und Speicherung – Aufbau der Infrastruktur unter staatlicher Beteiligung 

Mit Blick auf den Wasserstofftransport wird die Errichtung einer Wasserstoffnetzgesellschaft unter staatlicher Beteiligung erwogen. Ein Startnetz von 1.850 km Länge (davon 800 km als Neubau und 1.050 km im Wege der Umnutzung bestehender Erdgasleitungen) soll in Deutschland bis zum Jahr 2030 im Rahmen des EU-Förderprogramms „IPCEI Wasserstoff“ mit finanziellen Mitteln ausgestattet werden. Die Wasserstoffnetzgesellschaft soll das restliche Kapital für den Aufbau des Wasserstoffnetzes bereitstellen und für eine beschleunigte Umsetzung sorgen (S. 11f.). Bisher haben Gasnetzbetreiber angesichts strikter Entflechtungsregeln im Entwurf des EU-Gaspakets wenig Anreiz, ihre Netze auf die Wasserstoff-Durchleitung umzurüsten. Bei Errichtung einer staatlichen Wasserstoffnetzgesellschaft lägen Umrüstung und Bau von Wasserstoffnetzen nicht mehr in der Verantwortung privatwirtschaftlicher Akteure, sondern stünden unter staatlicher Kontrolle.  

Mittelfristig heißt das, bisherige Wasserstoffleitungen und umzurüstende Erdgasleitungen zu erwerben; langfristig soll in einer sektorübergreifenden Systementwicklungsstrategie der Ausbau des Wasserstoffnetzes bis 2030 umgesetzt werden. Im Entwurf der NWS-Fortschreibung heißt es dazu, die Systementwicklungsstrategie beinhalte „Entscheidungen, für welche Anwendungsfälle zukünftige Energieinfrastrukturen ausgelegt werden sollen.“ (S. 12). Diese Anwendungsfälle sieht das BMWK vor allem im Industriesektor, im Luft- und Schifffahrtsverkehr und im Stromsektor (siehe unten „Wasserstoffanwendungen“). Der Ansatz der sektorübergreifenden Systementwicklungsstrategie legt eine Beschränkung der Wasserstoffbereitstellung auf nicht direkt elektrifizierbare Sektoren nahe. Als Alternative zum leitungsgebundenen Transport von reinem Wasserstoff soll die Transport- und Speichertechnologie LOHC weiter erforscht und mit IPCEI-Geldern ausgestattet werden. Zudem plant das BMWK, in den nächsten Jahren eine Wasserstoffspeicherstrategie vorzulegen, welche die Umrüstung bestehender Gasspeicher und den Neubau von Wasserstoffspeichern behandeln soll. Die großangelegte Wasserstoffspeicherung sieht das Ministerium ab der zweiten Hälfte der 20er Jahre als relevant an, wenn die erzeugten und nachgefragten Mengen größer werden im Rahmen des Aufbaus eines europäischen Hydrogen Backbone sollen insbesondere Verbindungen zu Nachbarstaaten geschaffen werden. Damit soll ein gut ausgebautes Netz in Mitteleuropa mit Anbindung an die potenziellen Erzeugungszentren in Skandinavien, Süd- und Osteuropa als auch an die Importhubs in Westeuropa entstehen (S. 13).


Import von grünem und blauem Wasserstoff – Paradigmenwechsel

Zur Deckung des Bedarfs nach wasserstoffbasierten Energieträgern soll auch der außereuropäische Raum für die Wasserstofferzeugung erschlossen werden.  Hierzu will das BMWK den Aufbau von Importterminals an der deutschen Küste beschleunigen und dafür noch in diesem Jahr zum einen ein Wasserstoffbeschleunigungsgesetz und zum anderen eine Definition der notwendigen Schritte zur Umrüstung von LNG-Terminals, also zu deren sogenannter Wasserstoffreadiness, vorlegen (S. 9 u. 13). 

Anders als noch in der Wasserstoffstrategie von 2020 sieht der aktuelle Fortschreibungs-Entwurf auch den Import und Einsatz von blauem Wasserstoff in Deutschland vor (S. 8). Norwegen positioniert sich derzeit in Europa als zukünftiger Lieferant von blauem Wasserstoff. Die Delegationsreise von Minister Habeck, die auch Treffen mit Industrievertretern umfasste, stand im Zeichen dieser Pläne.  

Blauer Wasserstoff wird auf Basis von Erdgas über den Prozess der Dampfreformierung erzeugt und das dabei anfallende CO2 mittels „Carbon-Capture and-Storage“-Verfahren in den Boden verpresst.  Welche Rolle blauer Wasserstoff in der Energiewende spielen kann, ist innerhalb der Studienlandschaft wegen seiner potenziell hohen CO2-Emissionen umstritten. Wie z.B. eine Studie des Paul Scherer Instituts zeigt, kommt blauer Wasserstoff als klimaneutrale Brückentechnologie per Definition nur dann in Betracht, wenn durch einen nachweisbar hohen Technikstandard CO2-Emissionen entlang der gesamten Produktionskette vermieden werden. Hierzu kündigt das BMWK im Entwurf an, dass sich die Bundesregierung auf EU-Ebene noch in diesem Jahr für die Festsetzung eines Schwellenwertes für Treibhausgasvermeidung in Bezug auf blauen Wasserstoff einsetzen werde (S. 20 f.). 

 

Anwendungen – Beschränkung auf Schlüsselbereiche  

Künftige Anwendungsbereiche für Wasserstoff und Derivate sind nach der Wasserstoffstrategie der Industriesektor, insbesondere die Chemie- und Stahlindustrie, der Verkehrssektor – hier allerdings nur der Luft- und Schiffsverkehr – sowie der Stromsektor. Im letztgenannten Bereich sind Elektrolyseure als systemdienliche Stabilisatoren des Stromnetzes vorgesehen. Außerdem fasst das BMWK den Bau wasserstofffähiger Gaskraftwerke, die im Rahmen eines künftigen Kapazitätsmarktes als Rückverstromungsoptionen dienen, ins Auge (S. 14 ff.). Für den Wärmesektor sieht der Entwurf nur einen sehr beschränkten Einsatz von Wasserstoff vor. Dieser soll hier mittels stromgeführten Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen in Verbindung mit Wärmespeichern in Quartieren mit weitläufigen Wärmenetzen und einer Anbindung an das Wasserstoffnetz zum Einsatz kommen. Durch die Nutzung der bei der Elektrolyse anfallenden Prozessabwärme im Wärmenetz könne die Wasserstofferzeugung mittelbar auch der Wärmeversorgung dienen (S. 18). Was bereits der Ansatz der sektorübergreifenden Systementwicklungsstrategie zur Planung des künftiges Wasserstoffnetzes erkennen ließ (siehe oben “Transport und Speicherung”), bestätigt sich am Zielbild des BMWK im Bereich der Wasserstoffanwendungen. Prioritär solle der Energieträger nur dort genutzt werden, wo es „keine alternativen technischen Lösungen zum Erreichen der Klimaneutralität“ gebe (S. 14).  

Neben den IPCEI für Wasserstoff, werden Klimaschutzverträge (Carbon Contracts for Difference) als das wesentliche Instrument zur Förderung des Wasserstoffeinsatzes in Teilen der Industrie gesehen (S. 14 f.). Hierzu hat das BMWK einen ersten Entwurf veröffentlicht, der aktuell konsolidiert wird. Da der Industriesektor als besonders emissionsintensiv gilt, soll hier möglichst zeitnah eine Treibhausgasreduktion erfolgen. Mit dem aktuell vorliegenden Entwurf der Klimaschutzverträge sind allerdings nur einige Teile der Industrie erfasst. Um den Einsatz von Wasserstoff und anderen klimaneutralen Alternativen anzureizen, sollen die Mehrkosten, die ein Unternehmen bei Umstieg auf klimaneutrale Prozesse hat, über 15 Jahre lang ausgeglichen werden. Zur Unterstützung der Dekarbonisierungsanstrengungen in der Industrie will das BMWK ebenfalls noch in diesem Jahr eine Carbon Management Strategie vorlegen (S.15). Diese soll auf Grundlage des zweiten Evaluierungsberichts zum Kohlendioxid-Speicherungsgesetz (KSpG) sowie einem umfassenden Stakeholder-Dialog aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Industrie beschlossen werden. Die Strategie wird insbesondere Fragen des Einsatzes von „carbon capture and storage“- und „carbon capture and usage“-Verfahren klären. Bislang haben diejenigen Bundesländer, in denen das unterirdische Speichern des vorher abgeschiedenen CO2 ("carbon capture and storage") in Frage kommt, diese Speicherung auf Grundlage der sog. Länderklausel im KspG für unzulässig erklärt.  Im Stromsektor soll Wasserstoff in Zeiten hoher Stromnachfrage bei geringem Stromangebot, wie bereits beschrieben, zur Rückverstromung genutzt werden. Neben „H2-ready“-Kraft-Wärmekopplungsanlagen und -Gaskraftwerken sieht der Entwurf die Ausschreibung von sogenannten Wasserstoff-Sprinter-Kraftwerken (nach § 28e EEG) zur Verstromung von Wasserstoff und Ammoniak im Umfang von 4,4 GW in den nächsten drei Jahren vor sowie dieselbe Leistung an EE-Wasserstoff-Hybridkraftwerken (nach § 28d EEG) in den nächsten fünf Jahren. Während die Wasserstoff-Sprinter-Kraftwerke in Zeiten geringer Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien schnell und flexibel Strom aus Wasserstoff bereitstellen sollen, fungieren die EE-Wasserstoff-Hybridkraftwerke in erster Linie als wasserstoffbasierte Stromspeicher (S. 15f.). Die Ausschreibungen dazu sollen noch in diesem Jahr starten. Auf europäischer und internationaler Ebene möchte sich, laut Entwurf, die Bundesregierung zudem für einheitliche Nachhaltigkeitsstandards und Zertifizierungssysteme sowohl für grünen als auch kohlenstoffarmen Wasserstoff und dessen Derivate einsetzen (S. 19f.). 


Erzeugungshochlauf stärker adressieren, fossile Rolle rückwärts verhindern 

Mit der Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie erfolgt eine Konkretisierung und zeitliche Priorisierung der im Jahr 2020 noch sehr abstrakt gefassten Zielbilder. Anhand dessen wird man den Umsetzungserfolg der Wasserstoffstrategie für jeden einzelnen Zeitabschnitt bemessen können. Dies erleichtert zielgenaue Nachschärfungen. Ob die angedachten Maßnahmen zum Erreichen des Ausbauziels von 10 GW Elektrolyseleistung ausreichen werden, muss sich zeigen.  

Ein wesentliches Versäumnis ist in diesem Zusammenhang etwa, dass das Thema Genehmigungsverfahren für Elektrolyseure nicht adressiert wird. Überkomplexe Genehmigungsverfahren für Elektrolyseur-Vorhaben sind eines der großen Hemmnisse für den grünen Wasserstoffhochlauf. Zur beschleunigten Umsetzung von Elektrolyse-Projekten wäre ein ähnlich beherztes Vorgehen wie bei den LNG-Terminals angebracht. Warum das im Entwurf angedachte Wasserstoff-Beschleunigungsgesetz lediglich auf entsprechende Wasserstoff-Importterminals anwendbar sein soll, erschließt sich nicht.  

Für den Erzeugungshochlauf ist außerdem eine ganzheitliche Förderstrategie – wie sie im Entwurf zur NWS-Fortschreibung noch für dieses Jahr angekündigt wird – dringend notwendig. Diese könnte nach dem Auktionsmodell ausgestaltet werden, wie er heute schon für außereuropäische Wasserstoffimporte mit H2Global besteht. Die vorgesehene IPCEI-Förderung, mit der einzelne Projekte nach Durchlaufen eines langwierigen Genehmigungsverfahrens gefördert werden können, ist für den Aufbau einer bedarfsdeckenden Wasserstoff-Infrastruktur zu kleinteilig.  

Vor dem Hintergrund einer drohenden Mangelversorgung mit grünem Wasserstoff ist der zeitlich begrenzte Rückgriff auf importierten blauen Wasserstoff ein für sich genommen nachvollziehbarer Schritt: Bereits vorhandene Produktionsanlagen für grauen Wasserstoff, die sich relativ einfach für die Produktion von blauem Wasserstoff aufrüsten ließen, und der in ausreichendem Maße zur Verfügung stehende Ausgangsstoff Erdgas könnten den Wasserstoffhochlauf begünstigen. Blauer Wasserstoff könnte damit den späteren Umstieg auf elektrolysebasierten grünen Wasserstoff vereinfachen. Allerdings unterliegt der Einsatz von Wasserstoff keinem Selbstzweck, sondern dient der Einbindung und bedarfsgerechten Nutzung von fluktuierenden Erneuerbaren Energien in das Energiesystem und ist damit ein wichtiger Baustein zur Realisierung der Energie- und Klimawende. Es müsste durch einen klaren Ordnungsrahmen sichergestellt werden, dass durch blauen Wasserstoff nicht zusätzliche CO2-Emissionen entstehen und der Einsatz zeitlich begrenzt bleibt.  

Cäcilia Gätsch, Regulatorik Expertin cruh21 und Benita Stalmann, Expertin für Public Relations & Public Affairs cruh21

 

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