Grüner Wasserstoff – Potenziale für den Klimaschutz und die Energiewende

Schon 2045 soll Deutschland klimaneutral sein. Um die Klimaziele erreichen zu können, muss eine echte Energie- und Klimawende gelingen. Erneuerbare Energie muss über „Power-to-x“-Systeme langfristig in allen energie- und treibhausgasintensiven Bereichen zum Einsatz kommen. Als letzter notwendiger Baustein hat Grüner Wasserstoff hier eine Schlüsselrolle. Die hohen Bedarfe machen Wasserstoffimporte unabdingbar. Der Beitrag beleuchtet in einem ersten Teil die Möglichkeiten von Power-to-X-Technologien sowie ihr Potenzial für den Klimaschutz. Der zweite Teil zeigt die konkreten Strom- und Wasserstoffbedarfe auf und diskutiert die Herausforderungen von Wasserstoffimporten.

Grüner Wasserstoff – Die vierte Säule der Energiewende

Schon 2045 soll Deutschland klimaneutral sein. So hat es die Bundesregierung im Juni 2021 im neuen Klimagesetz beschlossen. Zuvor urteilte das Bundesverfassungsgerichts, dass bislang kein vorausschauender Plan zur Reduktion der Treibhausgasemissionen getroffen worden sei. Die Klimapolitik muss also laut BVerfG stark beschleunigt werden, um ihre Ziele zu erreichen und zukünftigen Generationen keine unzumutbaren Lasten aufzubürden. Die Erfolge müssen sich dabei am nationalen CO2-Budget messen lassen. Nach Berechnungen der Helmholtz Klima Initiative liegt Deutschlands aktuelles Budget (ab 2021) bei rund 8,7 Gt CO2.[1]  So viel CO2 darf Deutschland nur noch ausstoßen, um die Klimaziele von Paris, die globale Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 °C zu begrenzen, einhalten zu können. Das entspricht rund der zehnfachen Menge, die Deutschland derzeit noch jährlich emittiert.[2] Zum Erreichen der Klimaziele sind mehrere sektorübergreifende Schritte notwendig: Der Ausbau der erneuerbaren Energien, der Einsatz von Strom in direkt elektrifizierbaren Bereichen und die Energieeinsparung durch Effizienzmaßnahmen. Der vierte entscheidende Baustein der Energiewende ist die Dekarbonisierung der Bereiche, die nicht direkt elektrifiziert werden können.[3] Dazu zählen die Stahl-, Zement- ,Teile der Chemieindustrie, der Schwerlast- sowie Flug- und Schifffahrtsverkehr. Dort bedarf es einer klimaneutralen Alternative zu fossilen Roh- und Kraftstoffen.

Diese Alternative ist Grüner Wasserstoff. Über sogenannte Power-to-X-Prozesse (PtX) kann Wasserstoff Kohle, Erdgas und Erdöl ersetzen und so einen entscheidenden Beitrag zur Treibhausgasneutralität leisten. [4]

PtX bezeichnet alle Verfahren, die Strom in die Energieträger Gas („Power-to-Gas", PtG, wozu Wasserstoff zählt), Wärme („Power-to-Heat", PtH) und Treibstoff („Power-to-Fuel", PtF) umwandeln. Abhängig vom Herstellungsverfahren des Wasserstoffs spricht man von bestimmten Wasserstoff-„Farben“. Das Gas an sich ist farblos. Als „Grün“ wird es bezeichnet, wenn es durch Elektrolyse auf Basis von erneuerbaren Energien gewonnen wird.

 

Anwendungsbereiche von Grünem Wasserstoff und Dekarbonisierungspotenzial

PtX ermöglicht es, erneuerbar erzeugten Strom zwischen den Sektoren zu transportieren und diese im Sinne eines ganzheitlichen Energiesystems miteinander zu koppeln (Sektorenkopplung).

Einsatz in der Stahl- und Chemieindustrie

Ein diskutierter Anwendungsbereich ist die Industrie, die bislang wegen ihrer hohen Nachfrage nach fossilen Rohstoffen mit ca. 23% in beachtlicher Weise zu den Treibhausgasemissionen in Deutschland beiträgt.[7] Innerhalb dieses Sektors wird erneuerbar erzeugter Wasserstoff noch vor 2030 für die Stahlproduktion eine wichtige Rolle spielen. Unterstützt wird diese Entwicklung u. a. durch die im Zuge von Fit For 55 beschlossene verbindliche Quote für Grünen Wasserstoff in der Stahlindustrie ab 2030.[8] Mit der Direktreduktion des Eisenerzes auf Wasserstoffbasis steht dafür die zentrale Technologie bereits im Kern zur Verfügung.[9] Bei Einsatz von Grünem Wasserstoff ergäben sich daraus hohe CO2-Einsparpotenziale. Die vollständige Umstellung der deutschen Stahlproduktion auf Grünen Wasserstoff wäre mit einem Bedarf an jährlich 2 Mio. t Wasserstoff (70 TWh) verbunden, womit im Jahr rund 50 Mio. t CO2 eingespart werden könnten.[10] Das entspräche fast den gesamten Treibhausgas-Emissionen Irlands im Jahr 2019.[11] In der Zementindustrie kann Grüner Wasserstoff zumindest anteilig im Brennstoffmix eingesetzt werden, um die nötigen hohen Betriebstemperaturen für die Brennung des Kalksteins in Zementklinker zu erreichen.[12]

Auch in der Chemiebranche zeichnen sich konkrete Einsatzmöglichkeiten ab. Eine tragende Rolle spielt Wasserstoff schon heute als Grundstoff für die Chemie- und Petrolindustrie. Der aktuelle Bedarf an rund 1 Mio. t für die Chemieindustrie wird bisher jedoch fast ausschließlich über Grauen Wasserstoff gedeckt. Mit einer Dekarbonisierung vor 2030 ist in diesem Bereich laut Nationalem Wasserstoffrat nicht zu rechnen, da zum Teil neue technische Anlagen erst gebaut werden müssen.[13] Auf Basis von Grünem Wasserstoff können jedoch eine Vielzahl synthetischer Stoffe erzeugt werden. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert in mehreren Projekten den Einsatz von regenerativ erzeugtem Wasserstoff zur Herstellung klimafreundlicher Chemikalien („Power-to-Chemicals"), mit denen anteilig eine Dekarbonisierung im Bereich der Grundstoffproduktion erreicht werden kann.[14] Von besonderer Bedeutung ist dabei die klimaneutrale Erzeugung von Ammoniak, Methanol und Naphtha.

Ammoniak dient als wichtige Basis für die Fertigung vieler Kunststoffe und Synthesefasern und findet als Düngemittel umfangreichen Einsatz in der Landwirtschaft. Die Ammoniakerzeugung erfolgt im Haber-Bosch-Prozess. Darin reagiert Wasserstoff mit Stickstoff und bildet Ammoniak-Moleküle. Der für die Reaktion benötigte Stickstoff kann aus der Luft gewonnen werden. Ebenso wichtig ist die klimaneutrale Herstellung des aus der Synthese von Wasserstoff und CO2 herstellbarem Methanol. Es ist einer der wichtigsten Ausgangsstoffe in der chemischen Industrie und kann darüber hinaus als Kraftstoff oder Lösungsmittel verwendet werden.[15] Naphtha ist einer der meist eingesetzten kohlenstoffhaltigen Rohstoffe in der Chemieindustrie. Auch er kann aus CO2 synthetisiert werden und erhöht den Bedarf an Grünem Wasserstoff für die chemische Industrie um ein Vielfaches auf ca. 7 Mio. t (227 TWh) im Jahr. Damit könnten insgesamt in der Branche rund 54 Mio. t CO2 jährlich eingespart werden.[16] Die zur synthetischen Herstellung der Stoffe benötigten Treibhausgase können mithilfe des Direct-Air-Capture-Prozesses aus der Umgebungsluft unter Einsatz von Energie entnommen und für die Synthese aufbereitet werden.[17]

Einsatz im Verkehrsbereich und Herstellung von „E-Fuels“

Mit synthetisch gewonnenen Kraftstoffen ist es außerdem möglich, den Verkehrssektor zu dekarbonisieren, vor allem da, wo die Batterietechnologie an ihre Grenzen stößt. Der Endenergieverbrauch im Bereich Verkehr belief sich im Jahr 2019 auf insgesamt 656,2 TWh, wobei lediglich 5,5% dieser Energie regenerativen Ursprungs war.[18] Trotz Fortschritten bei der Entwicklung emissionsärmerer Verbrennungsmotoren, stiegen die Emissionen insgesamt im Verkehrssektor im Jahr 2019 im Vergleich zu 1995 um rund 5% an.[19] Wegen ihrer hohen Energiedichte besteht ein Bedarf nach synthetischen Kraftstoffen insbesondere für den Flug- und Schiffsverkehr sowie Arbeitsmaschinen (z. B. Bauindustrie und Landwirtschaft) und Teile des Langstrecken- bzw. Schwerlastverkehrs.[20] Für die Synthese von klimaneutralen Kraftstoffen auf Basis von Grünem Wasserstoff, sogenannte E-Fuels, stehen zwei Verfahren zur Verfügung: Die Fischer-Tropsch-Synthese und die Methanol-Synthese. Bei der Fischer-Tropsch-Synthese wird zunächst unter Einsatz sehr hoher Betriebstemperaturen ein Synthesegas erzeugt, welches dann in ein Kohlenwasserstoffgemisch umgewandelt wird. Aus diesem können im Anschluss in einem Raffinationsprozess Stoffe wie Diesel oder Kerosin gewonnen werden.[21] Bei dem Verfahren handelt es sich um einen exothermen Prozess, bei dem Abwärme frei wird, die wiederrum energetisch genutzt werden kann. Alternativ kann aus dem Synthesegas für den Einsatz in der chemischen Industrie oder als Treibstoff Methanol gewonnen werden. Zur Methanol-Synthese gibt es allerdings mehrere Verfahren. Bei allen Synthese-Verfahren stellt sich immer die Frage nach der CO2-Quelle. Das benötigte CO2 kann langfristig aus der Umgebungsluft mithilfe des Direct-Air-Capture-Verfahrens unter Einsatz von Energie abgeschieden und aufbereitet werden.[22] Daneben gibt es verschiedene weitere Kohlenstoffquellen, die aber teils eine erhebliche Auswirkung auf das Klima mit sich bringen.[23]

Hier sollten Prozesse mit geschlossenen Kohlenstoffkreisläufen entwickelt werden.[24]

Innerhalb des Gebäude- und Wärmesektors wird der Einsatz von Grünem Wasserstoff aufgrund bestehender Alternativen wie z. B. strombetriebener Wärmepumpen und Gaskessel grundsätzlich als weniger effizient erachtet,[25] wobei das Heizen mittels Wasserstoffverbrennung für dicht besiedelte Wohngebiete aus Platzgründen eine wichtige Ergänzung sein kann.[26]

Wasserstoff als Energiespeicher

Wasserstoff wird auch eine zentrale Rolle als Speichermedium einnehmen. Die Stabilität eines zu 100% auf erneuerbaren Energien basierenden Stromsystems ist auf Dauer gefährdet, da Windkraft- und Solaranlagen von dem volatilen Aufkommen an Wind und Sonne abhängig sind.[27] Die Dunkelflaute im Winter ist hierbei das vielzitierte Szenario.[28] Über kurze Zeiträume von einigen Stunden können Pumpspeicherkraftwerke Erzeugungsschwankungen ausgleichen. Für einen längerfristigen Ausgleich von mehreren Tagen oder Wochen eignen sich bisher nur chemische Speicher auf Basis von Wasserstoff, Methan oder anderen Gasen.[29] Mithilfe von PtX kann der überschüssige EE-Strom mittels netzdienlich installierter Elektrolyseure in sog. Speichergas (Wasserstoff) transformiert, in Salzkavernen zwischengespeichert und bei Bedarf wieder rückverstromt werden.[30] Denkbar ist auch eine teilweise Einspeisung in das bestehende Gasnetz.[31] Der netzdienliche Einsatz von Elektrolyseuren birgt auch kurzfristige Vorteile angesichts eines zu langsamen Netzausbaus. Kommt es zu Spitzen in der Stromerzeugung durch hohe Sonneneinstrahlung und Windaufkommen, müssen EE-Anlagen wie bisher zeitweise abgeregelt werden (sog. Redispatch), um eine Netzüberlastung zu verhindern, da die bestehende Netzinfrastruktur nicht ausreicht, um den EE-Strom zu transportieren.[32] Neben der mangelnden Effizienz ist das sehr kostenintensiv, da Betreiber, deren Anlagen abgeregelt werden von den Übertragungsnetzbetreibern (ÜNB) entschädigt werden müssen.[33] Darüber hinaus kann Wasserstoff verflüssigt, gebunden (z. B. gebunden an das Trägeröl „liquid organic hydrogen carrier“, LOHC) oder gasförmig unabhängig vom bestehenden Stromnetz transportiert werden.[34]

Bedarfe und die Frage nach der Herkunft des Grünen Wasserstoffs

Die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von Grünem Wasserstoff werfen die Frage nach der Herkunft des benötigten Grünstroms auf.[35] Hinzu kommt, dass bei der Herstellung von Wasserstoff durch Elektrolyse Energieverluste anfallen. Der durchschnittliche Wirkungsgrad bei Elektrolyseuren liegt aktuell bei 71%.[36] Das heißt, fast ein Drittel der eingesetzten Energie kann nicht zu Wasserstoff umgewandelt werden, sondern wird in Form von Abwärme an die Umgebung abgeführt. Der Strombedarf wird sich daher bei voranschreitender Sektorenkopplung deutlich erhöhen. Namhafte Forschungsinstitute, wie das Öko-Institut, das Wuppertal-Institut, Prognos, Agora Energiewende und Agora Verkehrswende sowie die Stiftung Klimaneutralität rechnen für das Jahr 2045 mit einem Gesamtstrombedarf von rund 1000 TWh.[37] Damit würde die Stromnachfrage im Vergleich zum Jahr 2019 um rund 75% ansteigen (Bruttostromverbrauch 2019: 569 TWh).[38] Das bedeutet erheblich größere Anstrengungen beim Zubau erneuerbarer Energien als derzeit geplant oder umgesetzt sind.[39]

Die Bilanzierungen des Bedarfs an Grünem Wasserstoff schwanken je nach Szenario, in welchen Bereichen und in welchem Umfang Grüner Wasserstoff zur Dekarbonisierung eingesetzt werden soll, stark. [40]  Die Nationale Wasserstoffstrategie (NWS) rechnet bis zum Jahr 2030 mit einem vorläufigen jährlichen Wasserstoffbedarf zwischen 90 bis 110 TWh.[41] Das auf die direkte Elektrifizierung fokussierte Szenario „Klimaneutrales Deutschland 2045“ geht von 422 TWh Bedarf aus, von denen über zwei Drittel (326 TWh) importiert werden und 96 TWh aus heimischer Elektrolyseleistung stammen sollen[42] Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung legt nun den Fokus der Wasserstoffproduktion explizit auf die einheimische Erzeugung (in Verbindung mit Offshore-Windenergie). Dennoch sind es vor allem die klimatischen Bedingungen (weniger Sonneneinstrahlung und Windaufkommen als in anderen Regionen) sowie die grundsätzlich begrenzten Flächen zur EE-Erzeugung, die es erschweren, den deutschen Wasserstoffbedarf überwiegend aus eigener Erzeugung decken zu können.[43]

Daher hat die Bundesregierung mit Gründung der Stiftung H2Global den Weg bereitet, Handelspartnerschaften für Grünen Wasserstoff mit Nicht-EU-Ländern sonnen- und windreicher Regionen zu schließen.[44] Als mögliche Handelspartner gelten die Länder Nord- und Westafrikas, des Nahen Ostens, Australien oder Chile. Wegen ihrer besonders geeigneten klimatischen Gegebenheiten könnten diese den Grünen Wasserstoff oder andere synthetische Kraftstoffe auf Wasserstoffbasis für einen globalen Markt vergleichsweise kostengünstig herstellen.[45]

Politische, ökonomische und logistische Herausforderungen

Allerdings gilt es bei Importen geo- und entwicklungspolitische, ökonomische sowie logistische Faktoren zu beachten. So darf zum Beispiel der Wasserstoffimport die Energiewende in den Exportländern nicht gefährden: Marokko etwa, das wegen seiner klimatisch günstigen Bedingungen und der relativ kurzen Entfernung zu Deutschland als geografisch geeigneter Handelspartner gilt, deckt derzeit erst 15% seines Energieverbrauchs aus erneuerbaren Energien, 68% der benötigten Energie stammen nach wie vor aus fossilen Quellen.[46] Wasserstoffexporte würden in diesem Stadium zu einer Behinderung lokaler Dekarbonisierungsprozesse führen, was für einen globalen Klimaschutz kontraproduktiv wäre.[47]

Auch die Frage des Transports ist bislang ungeklärt: Je nach Entfernung kann der Wasserstoff per Pipeline oder Schiff transportiert werden. Die logistischen Herausforderungen des Transportmittels stehen hierbei in engem Zusammenhang mit den sogenannten Bereitstellungskosten. In der Regel ist der Transport über Pipelines günstiger als über Schiffe. Wasserstoffpipelines erlauben den Transport großer Mengen Wasserstoffs und sind dabei sogar nach Erhebungen des Nationalen Wasserstoffrats noch bei Entfernungen von bis zu 10 000 km wirtschaftlicher als der Schiffstransport.[48] Die Leitungen können zugleich als Speicher fungieren. Ein besonderer Vorteil kann zudem darin liegen, bestehende Erdgaspipelines umzuwidmen, sofern sie aus ausreichend hochwertigen Stählen bestehen.[49] Gleichzeitig begegnet der leitungsgebundene Transport möglicherweise deutlich höheren (genehmigungs-)rechtlichen Hürden. Ein Nachteil des Schifftransports ist wiederum die notwendige Transformation des Wasserstoffs. So muss er entweder unter hohem Energieeinsatz verflüssigt („liquid hydrogen“, LH2), durch Druck verdichtet, durch Hydrierung an das Trägeröl LOHC  gebunden oder in Ammoniak und Methanol umgewandelt werden. Die Verfahren der Verflüssigung, Verdichtung und Hydrierung sind jedoch alle energieintensiv. Bei gasförmigem Wasserstoff sind die transportablen Energiemengen allerdings oft zu klein, was einen Schiffstransport unrentabel macht.[50] Nach Berechnungen des Wirtschaftsforschungsinstituts Prognos würden die hohen Transportkosten die günstigeren Erzeugungskosten in Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens nahezu aufwiegen.[51]

Eine weitere Herausforderung ist der noch fehlende regulatorische Rahmen für den Handel mit Grünem Wasserstoff. Bisher fehlt ein einheitliches Zertifizierungssystem, welche das Gas als eindeutig Grün klassifizieren könnte. Das bedarf es allerdings zum einen, um die wirkliche Klimawirksamkeit des gehandelten Wasserstoffs gewährleisten und nachweisen zu können und zum anderen, um durch die Harmonisierung von Kennzeichnungen einen internationalen Markthochlauf für Grünen Wasserstoff sichern zu können.[52] Das Projekt CertifHY erprobt deshalb seit 2019 unter Beteiligung der EU-Initiative Fuel Cell and Hydrogen Joint Undertaking (FCH JU) ein EU-weites Handelssystem und -register von Herkunftsnachweisen für Grünen und kohlenstoffarmen Wasserstoff. Eine verordnungsrechtliche Definition von Grünem Wasserstoff steht auf EU-Ebene allerdings noch aus. Sie ist Teil der Überarbeitung der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie mit der die EU den Anteil der regenerativen Energien am Energieverbrauch bis 2030 auf insgesamt 40% erhöhen will. Inwiefern die erarbeiteten Kriterien dann auch für den internationalen Wasserstoffhandel gelten werden, ist noch offen.

Fazit

  • Grüner Wasserstoff ist der letzte notwendige Baustein einer vollständigen Energiewende. Denn nur sein Einsatz über „Power-to-x“-Systeme erlaubt auch die Dekarbonisierung der Bereiche, die nicht direkt elektrifiziert werden können.
  • Daher ist der Einsatz von Grünem Wasserstoff besonders in den Sektoren der Industrie (Stahl, Chemie und Zement) und dem Schiffs-, Flug- und Schwerlastverkehr über die Herstellung von „E-Fuels“ durch Syntheseverfahren sinnvoll.
  • In einem volatilen Energiesystem der Zukunft, dass von Erzeugungsschwankungen durch unregelmäßige Sonneneinstrahlung und Windaufkommen geprägt sein wird, bietet Wasserstoff zudem die zentrale Funktion eines Energiespeichers.
  • Auch in Szenarien eines „minimalen“ Einsatzes von Grünem Wasserstoff, der sich auf die nicht oder nur sehr schwer direkt elektrifizierbaren Bereiche beschränkt, zeichnen sich große Bedarfsmengen ab, die nicht allein über eine heimische Erzeugung gedeckt werden können.
  • Darum werden Handelspartnerschaften für Importe mit Ländern sonnen- und windreicherer Regionen unumgänglich sein. Zentrale Herausforderungen sind dabei, lokale Energiewenden in den Herkunftsländern nicht zu kannibalisieren, geeignete Transportsysteme zu finden, die den gehandelten Wasserstoff immer noch wettbewerbsfähig halten, und ein internationales Zertifizierungssystem mit einheitlichen Kriterien zur Definition von Grünem Wasserstoff zu entwickeln und einzuführen.

 

Consultants: Cäcilia Gätsch und Benita Stalmann

 

[1] Helmholtz Klima Initiative, Wieviel CO2 dürfen wir in Deutschland noch ausstoßen, um die Klimaziele zur erreichen? (2021), abrufbar unter: https://www.helmholtz-klima.de/faq/wie-viel-co2-duerfen-wir-deutschland-noch-ausstossen-um-die-klimaziele-zu-erreichen. Das Budget ist dabei auf den Anteil der deutschen an der Weltbevölkerung (rund 1,1%) runtergerechnet. Im vorliegenden Artikel wird sich bei der Nennung von aktuellen Energie-Bedarfen und -Verbräuchen grundsätzlich auf die Zahlen von 2019 als Nicht-Covid-19-Jahr bezogen.

[2] Agora Energiewende (Hrsg.), Abschätzung der Klimabilanz Deutschlands für das Jahr 2021. Analyse (August 2021), S. 3.

[3] Vgl. Stiftung Klimaneutralität, Agora Energiewende, Agora Verkehrswende et. al. (Hrsg.), Klimaneutrales Deutschland 2045. Wie Deutschland seine Klimaziele schon vor 2050 erreichen kann. Zusammenfassung (Juni 2021), S. 22ff.

[4] BMU: Schulze: Grüner Wasserstoff spielt zentrale Rolle bei Bekämpfung des Klimawandels. Pressemitteilung Nr. 142/21. Berlin, 23.06.2021; online unter: https://www.bmu.de/pressemitteilung/schulze-gruener-wasserstoff-spielt-zentrale-rolle-bei-bekaempfung-des-klimawandels/ (zuletzt abgerufen 19.07.2021).

[5] Ekardt/van Riesten/Hennig, CCS als Governance- und Rechtsproblem, Zeitschrift für Umweltpolitik und Umweltrecht 2011, S. 409 ff.

[6] SRU: Wasserstoff im Klimaschutz: Klasse statt Masse. Stellungnahme. Berlin, Juni 2021, online unter: https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_Stellungnahmen/2020_2024/2021_06_stellungnahme_wasserstoff_im_klimaschutz.pdf?__blob=publicationFile&v=4 (zuletzt abgerufen 19.07.2021). Der SRU berät die Bundesregierung.

[7] Umweltbundesamt (UBA) (Hrsg.), Emissionsübersichten in den Sektoren des Bundes Klimaschutzgesetzes, 2020. Vgl. auch Deutsche Emissionshandelsstelle im Umweltbundesamt (Hrsg.): Treibhausgasemissionen 2019 - Emissions-handelspflichtige stationäre Anlagen und Luftverkehr in Deutschland (VET-Bericht 2019), Berlin 2020, S. 1.

[8] European Commission, The role of hydrogen in meeting our climate and energy targets, Juli 2021.

[9] Wasserstoffrat (Hrsg.), Wasserstoffaktionsplan Deutschland 2021 ­– 2025 (Juli 2021), S. 14. Die Direktreduktion auf Erdgasbasis ist bereits Stand der Technik, vgl. ebd. Vgl. auch Umweltbundesamt (Hrsg.): Emissionen aus Betrieben der Metallindustrie, Dessau-Roßlau 2020.

[10] Wasserstoffrat (Hrsg.), Wasserstoffaktionsplan, S. 14.

[11] UBA (Hrsg.), Übersicht: Treibhausgas-Emissionen in der Europäischen Union (13.09.2021), abrufbar unter: https://www.umweltbundesamt.de/daten/klima/treibhausgas-emissionen-in-der-europaeischen-union#hauptverursacher.

[12] UBA (Hrsg.), Dekarbonisierung der Zementindustrie (Februar 2020), S. 2f.

[13] Wasserstoffrat (Hrsg.), Wasserstoffaktionsplan, S. 14.

 

[14] Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.): Carbon2Chem, Berlin 2020.

[15] Sterner/ Stadler: Energiespeicher – Bedarf, Technologien, Integration, Düsseldorf 2014, S. 412.

[16] Wasserstoffrat (Hrsg.), Wasserstoffaktionsplan, S. 14.

[17] Fraunhofer ISI et al.: Working Paper Sustainability and Innovation No. S 01/2018 - Sektorkopplung – Definition, Chancen und Herausforderungen, Karlsruhe 2018, S. 75 ff.

[18] Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (Hrsg.): Erneuerbare Energien in Zahlen – Nationale und internationale Entwicklung im Jahr 2019, Berlin 2019, S. 20. Die Zahlen des BMWi zum Energieverbrauch im Verkehrssektor beziehen nicht den internationalen Luftverkehr mit ein, vgl. ebd., Anm. 4.

[19] UBA (Hrsg.), Emissionen des Verkehrs (09.06.2021), abrufbar unter: https://www.umweltbundesamt.de/daten/verkehr/emissionen-des-verkehrs#pkw-fahren-heute-klima-und-umweltvertraglicher.

[20] Sterner/ Stadler: Energiespeicher - Bedarf, Technologien, Integration, Berlin 2017.

[21] Brauner: Systemeffizienz bei regenerativer Stromerzeugung - Strategien für effiziente Energieversorgung bis 2050, Berlin 2019, S. 153.

[22] Ausführlich zu den verschiedenen Quellen des CO2 und ihrer Klimawirkung Kasten/ Heinemann u.a., Kein Selbstläufer: Klimaschutz und Nachhaltigkeit durch PtX, S. 17 ff.; S. 60 ff.

[23] Ausführlich hierzu Breyer/ Fasihi/ Aghahosseini, Mitigation and Adaption Strategies for Global Change 2020, 43 ff.; Keith et al., A Process for Capturing CO2 from the Atmosphere, July 2018, 1573 ff.

[24] Fraunhofer Institut et al. (Hrsg.): Eine Wasserstoff-Roadmap für Deutschland, Karlsruhe 2019, S. 25.

[25] Auer/ Purper: BUNDstandpunkt - Stromeinsatz zu Heizzwecken, Berlin 2016. Hier findet sich auch eine kritische Einschätzung der Wärmepumpentechnologie, insbesondere in Bezug auf den Einsatz von Luftwärme-pumpen.

[26] Sterner: Energiewirtschaftliches Kurzgutachten - Notwendigkeit und Chancen für Power-to-X-Technologien, Regensburg 2017, S. 10.

[27] Connect /Consentec/ FraunhoferISI/ R2B (Hrsg.): Leitstudie Strommarkt - Arbeitspaket Optimierung des Strommarktdesigns, Berlin 2014, S. 15.

[28] Energie-Perspektiven, Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (Hrsg): Stromspeicher Teil 3- Wasserstoff-Speicher, Ausgabe 02/2008.

[29] Energie-Perspektiven, Max-Plack-Institut für Plasmaphysik (Hrsg.): Stromspeicher Teil 3 – Wasserstoff-Speicher, Ausgabe 02/2008.

[30] Schröder, Patrick, Riesige Salzkavernen sollen in Norddeutschland Windenergie speichern (Mai 2016), in: Ingenier.de. Technik – Karriere – News -; online unter: https://www.ingenieur.de/technik/fachbereiche/energie/riesige-salzkavernen-in-norddeutschland-windenergie-speichern/. (zuletzt abgerufen am 28.7.2021).  

[31] Vgl. Deutsche Energieagentur (dena) (Hrsg.), Integration Erneuerbarer Energien in das Erdgasnetz. Power-to-Gas eine innovative Systemlösung für die Energieversorgung von morgen entwickeln, 2012.

[32] Wuppertal Institut, DIW Econ, Bewertung der Vor- und Nachteile von Wasserstoffimporten im Vergleich zur heimischen Erzeugung (November 2020), S. 57ff.

[33] Wuppertal Institut (Hrsg.): Bewertung der Vor- und Nachteile von Wasserstoffimporten im Vergleich zur heimischen Erzeugung, (November 2020), S. 57f. Für das Gesamtjahr 2019 wurden nach dieser Studie eine Ausfallarbeit von 7.689 GWh und Entschädigungszahlungen von 901 Mio. Euro ermittelt.

[34] Nationaler Wasserstoffrat (Hrsg.), Wasserstofftransport (Juli 2021), S. 3.

[35] Eine Aufschlüsselung des globalen Nachfragebedarfs bezogen auf die einzelnen Anwendungsbereiche von Power-to-X findet sich bei Gerhardt et al., H2 im zukünftigen Energiesystem: Fokus Gebäudewärme, Hannover 2020, S. 46; für die Erzeugungspotenziale existieren bislang nur Länderstudien, vgl. für Deutschland  Wuppertal Institut (Hrsg.), Bewertung von Wasserstoffimporten; Bründlinger et al., dena-Leitstudie Integrierte Energiewende: Impulse für die Gestaltung des Energiesystems bis 2050, 2018; Sterchele et al., Wege zu einem klimaneutralem Energiesystem: Die deutsche Energiewende im Kontext gesellschaftlicher Verhaltensweisen, 2020; Robinius et al., Kosteneffiziente und klimagerechte Transformationsstrategien für das deutsche Energiesystem bis zum Jahr 2050, 2019; Mehr Demokratie & Bürger Begehren Klimaschutz, 2020; online unter: https://www.researchgate.net/publication/351049889_Klimavertragliche_Energieversorgung_fur_Deutschland_-_16_Orientierungspunkte_Climate-friendly_energy_supply_for_Germany-16_points_of_orientation (zuletzt abgerufen am 28.7.2021).

[36] Vgl. die Prognos-Studie: Kosten und Transformationspfade für strombasierte Energieträger, (Mai 2020), S. 22.

[37] Agora Energiewende et. al. (Hrsg.), Klimaneutrales Deutschland 2045 (Juni 2021), S. 22.

[38] Agora Energiewende (Hrsg.) Die Energiewende im Stromsektor: Stand der Dinge 2019. Rückblick auf die wesentlichen Entwicklungen sowie ein Ausblick auf 2020 (Januar 2020), S. 15. 2019 wurde erstmals die Speicherzufuhr nicht zum Bruttostromverbrauch addiert. In diesem Fall läge der Wert bei 574,9 TWh, vgl. ebd.

[39] Zum Problem der Zielerreichungslücke beim Windenergieausbau und möglichen Lösungsansätzen vgl. Günther et al., Ausbau der Windenergie an Land: Beseitigung von Ausbauhemmnissen im öffentlichen Interesse, S. 4.

[40] Nach den zwei berechneten Szenarien einiger Fraunhofer Institute kann dieser zwischen 250 und 800 TWh im Jahr 2050 (veraltetes Datum der Klimaneutralität) liegen. Vgl. Fraunhofer Institut et al. (Hrsg.): Eine Wasserstoff-Roadmap für Deutschland, Karlsruhe 2019, S. 10.

[41] Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (Hrsg.), Die Nationale Wasserstoffstrategie (Juni 2020), S. 5.

[42] Agora Energiewende et. al. (Hrsg.), Klimaneutrales Deutschland 2045 (Juni 2021), S. 26. In die Summe der 422 TWh ist allerdings der internationale Flug- und Schiffsverkehr miteinbezogen. Berücksichtigt man nur den inländischen Verkehr kommt die Studie auf 265 TWh Bedarf. Insgesamt klammert das Szenario einen Einsatz im Gebäude/Wärmesektor aus und beschränkt sich auf den Einsatz in Energiewirtschaft, Verkehr und Industrie.

[43] Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Koalitionsvertrag 2021 – 2025 zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN und den Freien Demokraten (FDP) S. 59f. Laut Vertrag sollen bis 2030 10 GW Elektrolyseleistung in Deutschland installiert werden. Damit können nach der NWS aber gerade einmal 28 TWh Wasserstoff produziert werden. Vgl. BMWi (Hrsg.), Die NWS, S. 5.

[44] BMWi (Hrsg.) Pressemitteilung: 900 Millionen Euro für Wasserstoffprojekt H2Global – Habeck: „Starten mit dem Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft“ (23.12.2021), abrufbar unter: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2021/12/20211223-900-millionen-euro-fuer-wasserstoffprojekt-h2global.html.

[45] Ein höheres Solar- oder Wind-Angebot in anderen Ländern führt zu niedrigeren Gestehungskosten, vgl. die systematische Studie des Institute of Energy Economics at the University of Cologne (EWI) (Hrsg.), Estimating Long-Term Gloabl Supply Costsfür Low-Carbon Hydrogen (November 2020), S. 33.

[46] Vgl. Energiehaushalt in Marokko, in: laenderdaten.info unter: https://www.laenderdaten.info/Afrika/Marokko/energiehaushalt.php (zuletzt abgerufen 21.07.2021) und Bauke Baumann, Grüner Wasserstoff aus Marokko – keine Zauberformel für Europas Klimaneutralität (Heinrich Böll Stiftung) (20.01.2021), abrufbar unter: https://www.boell.de/de/2021/01/20/gruener-wasserstoff-aus-marokko-keine-zauberformel-fuer-europas-klimaneutralitaet

[47] Wuppertal Inst., DIW Econ, Bewertung von Wasserstoffimporten, S. 11 u. 56.

[48] Nationaler Wasserstoffrat (Hrsg.), Wasserstofftransport (Juli 2021), S. 4.

[49] Ebd., S. 6ff. In der Erhebung wurden die Transportkosten für Pipelines (sowohl Neubau als auch Umwidmung), LH2, LOHC und Ammoniak verglichen.

[50] Wuppertal Inst., DIW Econ, Bewertung von Wasserstoffimporten, S. 11.

[51] Prognos-Studie, Kosten und Transformationspfade für strombasierte Energieträger (Mai 2020), S. 61.

[52] Vgl. IKEM (Hrsg.), Anrechenbarkeit, Zertifizierung und internationaler Handel von grünem Wasserstoff. Kurzgutachten (Juli 2021), S. 4ff.

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