Fünf vor Zwölf - der H2 Klartext: "Wasserstoff-Stillstand durch Haushaltssperre?"

Auch geplante Wasserstoff-Vorhaben der Industrie sind massiv betroffen. Auf dem Spiel steht damit nicht nur der Wirtschaftsstandort Deutschland, sondern auch die Dekarbonisierung dieses Sektors.  

Welche Vorhaben sind konkret betroffen, mit welchen Auswirkungen auf den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft muss gerechnet werden?

Was sind rechtlich und politisch diskutierte Lösungsansätze?

Hintergrund:

In seinem auf Normkontrollantrag der CDU/CSU ergangenen Urteil vom 15.11.2023 erklärte das Bundesverfassungsgericht die nachträgliche Verschiebung ungenutzter Kreditermächtigungen zur Bekämpfung der Auswirkungen der Corona-Pandemie in den „Klima- und Transformationsfond“ (KTF) für verfassungswidrig, da unvereinbar mit der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse (1). Als Reaktion auf das Urteil verhängte Bundesfinanzminister Christian Lindner eine Woche später eine Haushaltssperre, wodurch alle Bundesressorts angewiesen sind, keine weiteren Zahlungsverpflichtungen mehr einzugehen, die über das laufende Jahr hinaus gehen. Der Schritt betrifft auch geplante Ausgaben des „Wirtschaftsstabilisierungsfonds“ (WSF), aus dem bisher u.a. die Gas- und Strompreisbremsen finanziert werden sowie der Zuschuss für die Übertragungsnetzentgelte.  Sowohl der KTF als auch der WSF sind sogenannte Sondervermögen, deren Umfang sich zum Teil aus (nachträglich) umgewidmeten Kreditermächtigungen speist. Anders als beim Sondervermögen für die Bundeswehr, für das im Sommer 2022 durch den Bundestag per Grundgesetzänderung beschlossen wurde, dass es nicht auf die Schuldenbremse anrechenbar sei, wurde diese verfassungsrechtliche Verankerung für den KTF und den WSF nicht vorgenommen. Dieses Vorgehen bei der Haushaltsplanung hatte das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil bezogen auf den KTF als grundsätzlich verfassungswidrig bewertet. Damit wurden die nachträglich umgewidmeten Kreditermächtigungen im KFT kassiert. Der Anteil der (verfassungswidrigen) Kreditermächtigungen im KTF beträgt 57,6 Mrd. Euro von 211,8 Mrd. Euro Gesamtvolumen bis zum Jahr 2027(2). Im WSF belaufen sich die Kreditermächtigungen sogar auf 200 Mrd. Euro bis zum Jahr 2024.(3) Von den rund 60 Mrd. Euro Kreditermächtigungen im KTF sollten insbesondere Vorhaben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) zur Transformation der Industrie und zur Förderung des Wasserstoffhochlaufs finanziert werden.  Stand heute stehen der Bundesregierung nun rund 60 Mrd. Euro weniger für die notwendige Transformation der Industrie und zur Förderung des Wasserstoffhochlaufs zur Verfügung. Bereits zugesagte Zahlungsverpflichtungen aus dem KTF, wie etwa die Übernahme der EEG-Umlage und die Gebäudeenergiefinanzierung haben allerdings Bestand.  

Welche eingeplanten Ausgaben für den Hochlauf der Wasserstoff-Wirtschaft sind nun mit einem Fragezeichen versehen? Und welche Auswirkungen haben die aktuellen Entwicklungen auf die Wasserstoff-Projektlandschaft?  

Rund 4 Milliarden Euro für den Wasserstoffhochlauf im nächsten Jahr auf der Kippe.

Nach dem ursprünglichen Wirtschaftsplan für den KTF waren im Jahr 2024 insgesamt 3,7 Mrd. Euro für Maßnahmen zum Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft und zur Dekarbonisierung der Industrie vorgesehen.(4) Für diese Maßnahmen ist nun aktuell die Finanzierung ungeklärt. Darunter fallen:  

  • die sogenannten Klimaschutzverträge („carbon contracts for differences“) zur Anschubfinanzierung der Transformation energieintensiver Industrien. Die erste Gebotsrunde war bereits für Ende dieses Jahres vorgesehen, bisher steht dazu allerdings noch die beihilferechtliche Genehmigung der EU aus. Zwei weitere Gebotsrunden sollten im nächsten Jahr folgen. In deren Rahmen sollten pro Runde etwa 15 Projekte zur Umrüstung auf klimafreundliche Industrieanlagen auf Wasserstoffbasis mit jeweils etwa 15 Mio. Euro für einen Zeitraum von 15 Jahren nach dem Differenzkosten-Prinzip gefördert werden. Im Zuge des vom BMWK durchgeführten Vorverfahrens im Sommer, hatten mehr als 300 Unternehmen ihr Interesse an dem Förderinstrument bekundet.(5)   
  • die Wasserstoff-IPCEI („important projects of common European interest“). Erst ein Bruchteil der insgesamt 62 deutschen Wasserstoff-IPCEI haben bereits einen Förderbescheid und damit die nötigen Fördergelder von Bund und Ländern erhalten. Für 45 Unternehmen ist die Zukunft ihrer Vorhaben nun aber ungewiss. 25 dieser 45 Projekte haben bereits einen vorzeitigen Maßnahmenbeginn bewilligt bekommen, sodass bereits Investitionen in Technologiebeschaffungsmaßnahmen ausgelöst wurden.(6) Eine verbindliche Förderzusage ist allerdings erst nach Bewilligung der EU-Kommission zu erwarten. Das Instrument der Wasserstoff-IPCEIs dient der finanziellen Absicherung initialer Projekte, die den Grundstein für den Markthochlauf grünen Wasserstoffs legen sollen. Die 62 ausgewählten Großvorhaben bewegen sich in den Bereichen Erzeugung, Infrastruktur, Anwendung in der Industrie und im Verkehr.(7)  
  • die kommenden Auktionsrunden für Wasserstoff-Importe der deutschen Handelsplattform H2Global. Im Auftrag dieser Stiftung schließt das Unternehmen Hintco staatlich finanzierte Differenzverträge mit künftigen Produzenten grünen Wasserstoffs und Wasserstoff-Derivaten im Ausland sowie mit industriellen Abnehmern dieser Produkte im Inland ab. Die Lieferungen der ersten Auktionsrunde für den Import von grünem Ammoniak und Methanol sowie nachhaltigem Flugtreibstoff sind allerdings finanziert. Hierzu liegt H2Global bereits ein Zuwendungsbescheid im Umfang von 900 Mio. Euro vom Bund vor. Die zu importierenden Mengen an Wasserstoffderivaten aus der ersten Auktionsrunde werden deutschen Abnehmern in den nächsten zwei Jahren zur Verfügung stehen. Grundsätzlich soll der Doppelauktionsmechanismus der deutschen Handelsplattform H2Global auch auf EU-Ebene für künftige Importe der europäischen Wasserstoffbank (EHB) angewendet werden. Erst im Mai dieses Jahres hatte EU-Kommissarin für Energie, Kadri Simpson, die H2Global Stiftung ausgewählt, die EHB bei der Durchführung gemeinsamer europäischer Auktionen für Wasserstoff-Importe zu unterstützen.(8) Und Ende September fand dazu ein Workshop unter Beteiligung der EU-Kommissarin, Mitgliedern 17 europäischer Mitgliedstaaten, H2Global, der EHB und Industrievertretern statt.(9)   
  • die im Rahmen der noch nicht beschlossenen Kraftwerksstrategie (KWS) geplante Förderung für den Aufbau von Wasserstoff- und H2-ready-Gaskraftwerken im Umfang von bis zu 25 GW bis zum Jahr 2030. Ursprünglich wollte das BMWK die ersten Ausschreibungsrunden zu den Wasserstoffkraftwerken, die als Back-up-Kraftwerke die Residuallast der abzuschaltenden Kohlekraftwerke ab 2030 übernehmen sollen, bereits Ende dieses Jahres starten. Im EEG ist eine entsprechende Ermächtigungsgrundlage verankert für die Ausschreibung von insgesamt 4,4 GW zu installierender Leistung von „EE-Hybrid-Kraftwerken“ bis zum Jahr 2028 und 4,4 GW Leistung von „Wasserstoff-Sprinter-Kraftwerken“.(10) Bisher fehlt dem BMWK allerdings die beihilferechtliche Genehmigung der EU für die geplanten Ausschreibungen. Die EU-Kommission hatte zum geplanten Fördersystem wettbewerbsrechtliche Bedenken angemeldet, da die Bundesregierung eine Vergütung für das Vorhalten von Leistung, anstatt des konkreten Erbringens geplant hat, was – laut Kommission – der Einführung eines Kapazitätsmarktes „durch die Hintertür“ gleichkäme. Anfang August hatte sich das BMWK auf Eckpunkte der Kraftwerksstrategie mit der Kommission verständigt.(11) Weitere Schritte sollten eine öffentliche Konsultation der KWS und ein förmliches beihilferechtliches Verfahren bei der EU-Kommission sein.  Ende November 2023 räumte das BMWK nun ein, dass sich der Zeitplan für die KWS durch die ungeklärte Haushaltslage der Bundesregierung nun weiter verschiebe. Das Vorantreiber der Strategie werde „kurzfristig zurückgestellt, um relevante Fragen beim KTF zu klären“, heißt es aus Ministeriumskreisen.(12) Offenbar war auch der KTF als Finanzierungsquelle für die geplanten Fördergelder vorgesehen. Da die KWS allerdings nach wie vor noch nicht verabschiedet ist, ist die geplante Förderung noch nicht haushaltswirksam. Den Gesamtförderbedarf für den Aufbau der vorgesehenen Back-up-Kraftwerkskapazitäten bezifferte das BMWK zuletzt mit insgesamt 60 Mrd. Euro, was die Koalitionspartner FDP und SPD als viel zu teuer kritisierten.(13)

Einschätzung: Was sind die Folgen für den Wasserstoff-Hochlauf?

Will man die Frage nach den direkten Auswirkungen der Haushaltslücke auf den Wasserstoffhochlauf kurzfristig beantworten, zeigt sich, dass sich die Probleme der vielfach nun unklaren Finanzierung und damit einhergehender Planungs- und Investitionsunsicherheit bei Unternehmen in großem Maße überlagern mit dem Problem fehlender beihilferechtlicher Genehmigungen aus Brüssel. Sowohl im Falle der Klimaschutzverträge für die energieintensive Industrie wie im Falle des Großteils der Wasserstoff-IPCEI als auch der in der KWS vorgesehenen Kraftwerksausschreibungen war bisher das erforderliche EU-rechtliche Beihilfeverfahren der Grund für die Verzögerungen der Maßnahmen. Bei den Ursachen dieser beihilferechtlichen Verzögerungen muss jedoch differenziert werden zwischen fehlenden Kapazitäten beim Abarbeiten der Anträge und materiell-rechtlichen Vorbehalten bei der Bewilligung, wie sie im Falle der deutschen KWS seitens der Kommission bestehen. Bezogen auf die KWS ist noch nicht ausgemacht, ob die Finanzierung oder die Vereinbarkeit mit EU-Recht die größere Hürde darstellen. Die Folge eines nicht (rechtzeitigen) Zustandekommens der KWS wäre nichts weniger als die Gefährdung des vorzeitigen Ausstiegs aus der Kohlekraft im Jahr 2030 und die damit verbundene rechtzeitige Transformation des Stromsystems in Richtung Klimaneutralität.    Die unklare Finanzierung der Maßnahmen ist somit alles andere als trivial. Die Herausforderung für die Regierung besteht nicht nur darin, den Bundeshalt für das nächste Jahr neu und verfassungskonform zu planen, sondern sich dabei auf mehrheitsfähige Lösungen zu verständigen – sowohl innerhalb der Ampel zwischen den Regierungspartnern der Grünen, SPD und FDP als auch mitunter innerhalb des Bundestags und Bundesrats, was im Falle einer Reformierung der Schuldenbremse oder einer grundgesetzlichen Verankerung eines neuen Sondervermögens notwendig wäre.  Die nun fehlende Finanzierung der Maßnahmen zur Förderung des Wasserstoff-Hochlaufs bedeuten eine schwerwiegende zusätzliche Verunsicherung der auf Wasserstoff setzenden Industrie und Energiewirtschaft. Das zeigt sich eklatant an den Wasserstoff-IPCEI. Viele der an den Projekten direkt beteiligten Unternehmen sind bei ihren Investitionen bereits in Vorleistung gegangen, da die beihilferechtliche Genehmigung der IPCEI-Förderungen i.d.R. nur eine Frage der Zeit ist und viele Akteure spätestens im nächsten Jahr mit den Förderbescheiden rechneten. Die nun fehlende Finanzierung der Fördersummen vergrößert die Planungsunsicherheit und verzögert Investitionsentscheidungen bei noch nicht in Vorleistung gegangen Unternehmen weiter. Ähnlich verunsichernd und Investitionsentscheidungen der energieintensiven Industrie weiter hinauszögernd, dürfte das bisherige Ausbleiben der Ausschreibungen zu den Klimaschutzverträgen wirken, die sich vor allem an die energieintensive Industrie richten. Das Verzögern oder Ausbleiben dieser nötigen Investitionen hat natürlich auch Effekte auf vor- oder nachgelagerte Wertschöpfungsketten der noch jungen Wasserstoff-Branche. Die Wasserstoff-Importe aus den Auktionen der Plattform H2Global sind in der ersten Runde hingegen finanziell abgesichert, womit den deutschen Abnehmern in diesem Fall Planungssicherheit gegeben ist. Klar ist aber, ohne abgesicherte staatliche Anschubfinanzierung bei den beschriebenen Maßnahmen kann die Industrie die Transformation nicht meistern und kommen Projekte zur Initialzündung des Wasserstoff-Markthochlaufs und damit die grüne Wasserstoffwirtschaft insgesamt nicht in Gang. Hinzu kommt, dass sich die hier beleuchteten Maßnahmen nur auf die Wasserstoffprojektlandschaft beziehen. Das Ausmaß der aktuellen haushaltspolitischen Verwerfung betrifft allerdings noch viele weitere Maßnahmen der Energiewende, die – sollten sie durch eine fehlende Finanzierung wegbrechen – mitunter noch nicht absehbare Wechselwirkungen auf den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft entfalten können, wenn z.B. Maßnahmen zur Niedrighaltung des Strompreises nicht mehr greifen.

Bericht und Einschätzung von Benita Stalmann

Gründe für die Ohrfeige aus Karlsruhe:

Das Bundesverfassungsgericht entschied in seinem Urteil vom 15.11.23, dass das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 mit der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse – geregelt in Art. 109 Abs. 3, Art. 110 Abs. 2 und Art. 115 Abs. 2 GG – unvereinbar und daher nichtig ist. Die CDU/CSU-Fraktion hatte wegen der rückwirkenden Änderung des Haushaltsgesetzes und des Bundeshaushaltsplans 2021 durch das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 Antrag auf Normenkontrolle gestellt. Mit diesem Gesetz sollte die im Bundeshaushalt 2021 als Reaktion auf die Corona-Pandemie vorgesehene, jedoch im Haushaltsjahr 2021 nicht ausgeschöpfte Kreditermächtigung in Höhe von insgesamt 60 Mrd. Euro verschoben werden, und zwar in den “Klima- und Transformationsfonds” (KTF; damals noch als „Energie- und Klimafonds“ (EKF) betitelt). Dieses Sondervermögen sollte für die kommenden Jahre für Maßnahmen in diesem Bereich bereitstehen. Die Verschiebung wurde rückwirkend im Februar 2022 für das abgeschlossene Haushaltsjahr 2021 vorgenommen.  

Das Gericht beanstandete insbesondere:

  • der Gesetzgeber habe den Zusammenhang zwischen der festgestellten Notsituation und den ergriffenen Krisenbewältigungsmaßnahmen nicht ausreichend dargelegt. Die Klimakrise könne nicht als Notsituation gelten, da sie  bereits seit vielen Jahren bekannt und folglich kein plötzliches Ereignis sei.
  • die zeitliche Entkoppelung der Feststellung einer Notlage gemäß Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG vom tatsächlichen Einsatz der Kreditermächtigungen widerspreche den Verfassungsgeboten der Jährlichkeit und Jährigkeit. Die faktisch unbegrenzte Weiternutzung von notlagenbedingten Kreditermächtigungen in nachfolgenden Haushaltsjahren ohne Anrechnung auf die „Schuldenbremse“ bei gleichzeitiger Anrechnung als „Schulden“ im Haushaltsjahr 2021 sei demzufolge unzulässig.
  • die Verabschiedung des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2021 nach Ablauf des Haushaltsjahres 2021 verstoße gegen den Haushaltsgrundsatz der Vorherigkeit aus Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG.(14)   

Klimakrise als Notlage festlegen - Welche Lösungsansätze werden diskutiert?

Die Aufregung und Verunsicherung, die das Urteil in der “Welt der Energiewende” verursacht hat, ist hoch und eine Stabilisierung zwingend:

Um die genannten Projekte, aber auch die weiteren, von dem Urteil betroffenen Stützpfeiler der Energiewende realisieren zu können, ist die Gesellschaft auf eine ausreichende Finanzierung des Übergangs angewiesen.  

Die diskutierten Lösungsvorschläge reichen vom Ausrufen eines Klimanotstandes bis zur Reform der Schuldenbremse. Würde die Bundesregierung den Klimanotstand ausrufen, wäre dadurch ein Aussetzen der Schuldenbremse möglich. Diesen Weg schlägt z.B. die Ökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) vor. Sie argumentiert, dass die Klima- ebenso wie die Coronakrise ein Notstand sei und entsprechend auch für den Klimanotstand ein Aussetzen der Schuldenbremse gerechtfertigt sei. Abgesehen von der dafür sprechenden Sachlage drängt sich auch in rechtlicher Hinsicht ein Verständnis des Klimawandels als immer deutlicher und nunmehr auch akute Gefahr auf. Zum einen führt der Klimawandel durch die Anreicherung von Treibhausgasen in der Atmosphäre zu einer globalen Erwärmung, wodurch er unstreitig die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Naturkatastrophen erhöht. Auch wenn dieser Zusammenhang schon lange bekannt ist, mangelt es dadurch noch nicht an einer unmittelbaren Gefahren- bzw. Notsituation. So liegt eine unmittelbare Gefahr nach dem Gefahrenbegriff des Polizeirechts auch dann vor, wenn die Geschehnisse bei ungehindertem Fortlauf mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu Schäden führen werden. Insoweit ist festzuhalten, dass der Klimawandel längst begonnen hat und sich bereits heute in vielfältiger Form manifestiert. So sind etwa im Sommer des Jahres 2020 laut aktueller Befunde in Deutschland zahlreiche Menschen infolge der durch den Klimawandel verursachten Hitzewellen ums Leben gekommen. Im Ergebnis kann damit für die Klimakrise nichts anders gelten als für die Corona-Pandemie, denn  beide Krisen führen zu unmittelbaren Gefahren, für deren Bewältigung Schutzmaßnahmen zu ergreifen sind.

Zum anderen hat das BVerfG bereits in seiner Kalkar I-Entscheidung vom 08.08.1978 judiziert, dass das Einschätzen einer Gefahrenlage zuvorderst dem Gesetzgeber – und nicht den Gerichten – obliegt. Konsequenterweise stellt die Eistufung der Klimakrise als Notlage eine auf wissenschaftlichen Daten beruhende politische Einschätzung dar, die von den Gerichten lediglich überprüft, nicht aber durch eigene Einschätzungen ersetzt werden kann. In diesem Zusammenhang muss der Gesetzgeber dann allerdings auch darlegen, inwiefern die ergriffene gesetzliche Maßnahme dem Klimaschutz zuträglich ist.   

Alternativ zum Ausrufen eines Klimanotstandes könnte auch die Schuldenbremse reformiert werden. Dies allerdings setzt eine Änderung des Grundgesetzes voraus. Dass, wie im Fall des Sondervermögens der Bundeswehr, zugunsten des Klimaschutzes eine Ausnahmemöglichkeit von der Schuldenbremse grundgesetzlich verankert wird, ist mangels Zustimmung der Parteien der FDP und CDU/CSU und damit mangels Erreichens der für eine Grundgesetzänderung erforderlichen 2/3-Mehrheit allerdings unwahrscheinlich. Ebenso denkbar wäre eine Stärkung der Eigenfinanzierung des KTF aus dem europäischen und dem nationalen Emissionshandel. Dazu müsste allerdings eine Erhöhung des CO2-Preises gesetzlich beschlossen werden, was einen entsprechenden politischen Willen voraussetzt.  

Möglich und klimapolitisch wünschenswert wäre schließlich auch die Streichung klimaschädlicher Subventionen.

Nach einer Liste des Umweltbundesamts würde die Abschaffung von 41 staatlichen Förderungen etwa für Dienstwagen, Diesel oder Flugreisen mehr als 60 Milliarden Euro bringen. Allerdings ist aus rechtlichen Gründen nur die Hälfte kurzfristig streichbar.  Der Haushalt für das Jahr 2024 sowie die Finanzplanung bis zum Jahr 2027 will die Regierung erst im kommenden Jahr beschließen – so geht es zumindest aus einem Schreiben von Bundesfinanzminister Lindner vom 27.11.2023 an die Koalitionspartner hervor. Darin schlägt er vor, die Haushaltsplanung mit „ausreichender Sorgfalt und Zeit für die parlamentarischen Beratungen“ zu führen, da er davon ausgeht, dass „strukturelle Änderungen“ unausweichlich seien.(15) Im Falle der Reformierung der Schuldenbremse wäre auch die Opposition in der Pflicht zur Verantwortung, da diese eine Grundgesetzänderung mit erforderlicher 2/3-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat darstellen würde.  

Bericht und Einschätzung von Cäcilia Gätsch


Quellennachweis:

[1] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2023/bvg23-101.html.

[2] https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/ktf-sondervermoegen-2207614.

[3]https://www.bundesregierung.de/breg-de/schwerpunkte/entlastung-fuer-deutschland/wsf-kreditermaechtigung-2132830.

[4] https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2023/08/20230809-bundeskabinett-beschliesst-wirtschaftsplan-des-ktf.html.

[5] https://background.tagesspiegel.de/energie-klima/industrie-brennt-auf-die-klimaschutzvertraege.

[6] https://background.tagesspiegel.de/energie-klima/experten-warnen-vor-wegfall-der-ktf-programme.

[7] https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Downloads/I/ipcei-standorte.pdf?__blob=publicationFile&v=4.

[8] https://energy.ec.europa.eu/news/joint-statement-commissioner-simson-and-german-minister-habeck-energy-issues-2023-05-31_en.

[9] https://www.h2-global.de/post/kicking-off-import-leg-european-hydrogen-bank.

[10] Ausführliche zu den im EEG verankerten Ausschreibungen der Wasserstoff-Kraftwerke und der Kraftwerksstrategie siehe den Artikel „Die Rolle von Wasserstoff im Stromsystem“, unter: https://www.linkedin.com/pulse/die-rolle-von-wasserstoff-im-stromsystem-cruh21%3FtrackingId=ZESvTMfuTe%252BAWQWbI2xshA%253D%253D/?trackingId=ZESvTMfuTe%2BAWQWbI2xshA%3D%3D.

[11] https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2023/08/20230801-rahmen-fuer-die-kraftwerksstrategie-steht.html.

[12] Zitiert in: https://background.tagesspiegel.de/energie-klima/haushaltskrise-verzoegert-kraftwerksstrategie.

[13]https://background.tagesspiegel.de/energie-klima/ampel-krach-um-kosten-der-kraftwerksstrategie.

[14] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2023/bvg23-101.html

[15] https://table.media/berlin/wp-content/uploads/sites/21/2023/11/Brief-Christian-Lindner-an-Ampelfraktionen.pdf, S.2f.

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