3. Ausgabe des H2-Klartexts "5 vor 12": Die Rolle von Wasserstoff im Stromsystem
Vom Engpassmanagement im Stromnetz über die Absicherung des Kohleausstiegs im Jahr 2030 – die Möglichkeiten der Rolle von Wasserstoff für das Stromsystem sind vielfältig. Bisher fehlen noch konkrete Markt- und Ausschreibungsdesigns, insbesondere für die geplanten Ausschreibungen von Wasserstoffkraftwerken. Aber Projektierer sollten sich dennoch schon jetzt vorbereiten – cruh21 unterstützt bei der ganzheitlichen Projektentwicklung.
Nach den Plänen der Bundesregierung soll Wasserstoff im klimaneutralen Stromsystem eine besondere Rolle einnehmen. Hervorzuheben sind hier Wasserstoffkraftwerke, die die Deckung der Residuallast von fossil basierten Kraftwerken übernehmen sollen. Was sieht das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) für die Ende des Jahres geplanten Ausschreibungen zu Wasserstoffkraftwerken konkret vor? Was sollten Projektierer jetzt beachten und wie unterstützt cruh21 bei der Projektentwicklung?
Im angestrebten klimaneutralen Stromsystem der nahen Zukunft müssen die Leistungen von Atom-, Kohle- und konventionellen Gaskraftwerken ersetzt werden. Hierbei rückt die Vorsorge für tages- bis saisonbedingte “Dunkelflauten” in den Vordergrund, also Phasen, in welchen die Stromerzeugung aus Windenergie- und PV-Anlagen nicht ausreicht, um die Stromnachfrage zu decken. Daher sieht die Bundesregierung nach aktuellen Plänen zum einen den Zubau steuerbarer Stromerzeugungsleistung aus H2-ready-Gas- (1) und reinen Wasserstoffkraftwerken (2) vor, die nach Bedarf schnell und flexibel hoch- und runtergefahren werden können, also steuerbar sind. Zum anderen sollen Potenziale zur Flexibilisierung des Stromsystems gehoben werden, die u.a. die Netzeinbindung von Elektrolyseuren umfassen.(3)
Welche konkreten Vorhaben stehen dahinter und worauf müssen sich Projektierer einstellen?
Die Doppelrolle von Wasserstoff
Der Energieträger Wasserstoff kann sowohl bei seiner Erzeugung durch die Netzeinbindung von Elektrolyseuren als Stromverbraucher bei Stromüberschuss als auch in seiner Speicher- und Rückverstromungsfunktion in Grünstrommangellagen (also eben bei “Dunkelflaute”) im klimaneutralen Stromsystem der Zukunft eine Rolle spielen. Diese zweiseitige Rolle von Wasserstoff im Stromsystem bestätigt die Ampel-Koalition auch im aktuellen Entwurf zur Fortschreibung der nationalen Wasserstoffstrategie (NWS).
Darin werden Elektrolyseure als „variable, systemdienliche Stabilisatoren“ des Stromnetzes auf der Stromverbraucherseite beschrieben.(4) Dahinter steht die Absicht, durch das Vorhalten netzdienlicher Regelleistung von Elektrolyseuren Engpässe im Stromnetz zu vermeiden und gleichzeitig den Stromnetzausbaubedarf zu reduzieren. Über die stromnetzdienliche Elektrolyse hinaus meint der Begriff der Systemdienlichkeit auch die Verzahnung der Elektrolyse mit der Transport- und Speicherinfrastruktur für Wasserstoff.(5) Die Anforderungen an systemdienliche Elektrolyse-Standorte und -Betriebsweisen sollen laut Entwurf der NWS im Rahmen der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) initiierten Systementwicklungsstrategie (SES) und der Plattform Klimaneutrales Stromsystem (PKNS) geprüft werden.(6) Für Projektierer von Elektrolyseanlagen können sich hieraus neue Business-Modelle durch das Vorhalten negativer Regelleistung ergeben. Die zuständigen Gremien sind hier allerdings noch mitten in der Entwicklung des Marktdesigns.
Zum anderen kann Wasserstoff auf Stromerzeugerseite laut NWS-Entwurf in Zeiten einer hohen Stromnachfrage und geringer Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien rückverstromt werden.(7) Das erfordert gleichzeitig Möglichkeiten der Zwischenspeicherung von Wasserstoff. Die Funktionen der Zwischenspeicherung und Rückverstromung adressiert die Bundesregierung in den für Ende dieses Jahr geplanten Ausschreibungen für die ersten sogenannten Wasserstoff-Sprinterkraftwerke und EE-Wasserstoff-Hybridkraftwerke im Rahmen des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (§ 28f und § 28g EEG und § 39o und § 39p EEG).(8) Ziel der Ausschreibungen ist es, die Erprobung und den Hochlauf von Wasserstoffkraftwerken schon vor dem Jahr 2030 zu beginnen, da Wasserstoff Erdgas bei der Stromerzeugung zur Deckung der Residuallast mittelfristig ersetzen soll.(9)
Wasserstoffkraftwerke als Teil der nationalen Kraftwerksstrategie
Beide Ausschreibungen sind Teil der von der Bundesregierung geplanten Kraftwerksstrategie (KWS), welche den Ausstieg aus der Kohleverstromung bis zum Jahr 2030 absichern soll. Das BMWK erarbeitet hierzu derzeit einen Entwurf. Darin ist unter anderem der Aufbau von insgesamt 25 GW steuerbarer Kapazitäten im Stromsystem vorgesehen. Diese sollen neben den insgesamt knapp 9 GW Leistung umfassenden EEG-Ausschreibungen eine bisher noch unbestimmte Menge installierter Leistung an auf Wasserstoff umrüstbare Gaskraftwerke und Kraft-Wärmekopplungs-Anlagen (KWK) beinhalten.(10) In einem Bericht der Bundesregierung aus dem Frühjahr zu Handlungsempfehlungen, um die nationale Stromversorgungssicherheit zu gewährleisten, werden zusätzlich noch die bereits laufenden EEG-Ausschreibungen von 7 GW Biomassekraftwerken zu den steuerbaren Kapazitäten hinzugezählt.(11) Die konkreten gesetzlichen Grundlagen zu den Ausschreibungen der geplanten H2-ready Gaskraftwerks- und KWK-Anlagenleistungen müssen allerdings, im Gegensatz zu den im Rahmen des EEG geplanten Ausschreibungen zu den Wasserstoffkraftwerken, erst noch geschaffen werden. Was genau ist also im EEG zu den Wasserstoffkraftwerken geplant?
Wasserstoff-Hybrid- und Wasserstoff-Sprinterkraftwerke
Zur Möglichkeit der wasserstoffbasierten Stromzwischenspeicherung und Rückverstromung sieht das EEG bis zum Jahr 2028 die Ausschreibung von insgesamt 4,4 GW (§ 28f) für „innovative Konzepte mit wasserstoffbasierter Stromspeicherung“ (§ 39o) vor. Der NWS-Entwurf bezeichnet die geplanten Anlagen als „EE-Hybrid-Kraftwerke“.(12) Diese sind nach Gesetz Anlagenkombinationen aus Windenergieanlagen an Land und/oder (13) Solaranlagen mit einem Wasserstoffspeicher und einer Rückverstromungsanlage. Erzeugungs-, Speicher- und Rückverstromungsanlagen sind hierbei räumlich gekoppelt. Damit reagiert das Förderkonzept auf das derzeitige Fehlen eines Wasserstoffnetzes, welches den zur Zwischenspeicherung und Rückverstromung benötigten Wasserstoff über räumliche Distanzen transportieren könnte. Die Rückverstromungstechnologie wird vom Gesetzgeber nicht vorgegeben, dies können also sowohl Gas- und Dampfturbinen als auch Brennstoffzellen sein. Nähere Anforderungen an konkrete Leistungsumfänge der Erzeugungs-, Speicher- und Rückverstromungsanlagen könnten im noch nicht vorliegenden Ausschreibungsdesign folgen. Nach dem Gesetz ist das Anlagenkonzept allerdings schon sehr restriktiv und schließt mögliche Flexibilitätsoptionen von vornherein aus, was Stromübertragungs- (ÜNB) und Fernleitungsnetzbetreiber (FNB) kritisieren.(14) So ist eine Nutzung des erzeugten Wasserstoffs in anderen Sektoren ausgeschlossen sowie ein Strombezug für den Elektrolyseur über das Stromnetz (Abs. 2 § 39o). ÜNB und FNB gehen außerdem davon aus, dass die vorgesehenen Hybridkraftwerke lediglich Schwankungen in der Stromerzeugung und dem Verbrauch auf Stundenbasis ausgleichen können. Um Dunkelflauten von Tagen und Wochen zu begegnen sind Langzeitspeicher notwendig.(15) In der Ausgestaltung (direkte Kopplung mit EE-Anlagen) versprechen die geplanten Ausschreibungen vor allem für kleinere und mittlere Projektierer im Bereich Onshore-Wind und PV interessant zu sein.
Zur Möglichkeit der unmittelbaren Rückverstromung sieht das EEG bis zum Jahr 2026 die Ausschreibung von ebenfalls insgesamt 4,4 GW (§ 28g) für „Anlagen zur Erzeugung von Strom aus grünem Wasserstoff“ vor (§ 39p). Der NWS-Entwurf spricht hierbei von „Wasserstoff-Sprinter“-Kraftwerken, die reinen Wasserstoff oder Ammoniak verstromen sollen.(16) Diese Kraftwerke können der Technologie nach beispielsweise Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerke sowie Brennstoffzellen sein. Das Gesetz definiert die Rückverstromungstechnologie auch hier nicht. Die Standorte der künftigen Sprinter-Kraftwerke werden dabei Eckpfeiler eines künftigen Wasserstoffnetzplans bilden,(17) da der Ort der Wasserstofferzeugung – anders als bei den Wasserstoff-Hybridkraftwerken – räumlich von dem der Rückverstromung abweichen wird. Diese Ausschreibungen werden eher für große Kraftwerksbetreiber von Interesse sein.
Ausschreibungs- und Marktdesgin lassen auf sich warten
Die genauen Ausschreibungsdesigns und Vergütungsmodelle für die Wasserstoff-Sprinter- und -Hybridkraftwerke sollten nach dem Vorhaben des BMWK eigentlich bis zum Sommer dieses Jahres stehen, damit die Ausschreibungen der ersten 400 MW an Hybrid- und ersten 800 MW an Sprinter-Kraftwerksleistungen wie geplant Ende des Jahres starten können. Dies wird allerdings von der Branche als zunehmend unrealistisch betrachtet, da die EU-Kommission dem Entwurf der KWS der Bundesregierung aus beihilferechtlichen Gründen jüngst eine Absage erteilt haben soll. Vorbehalte seien zum einen gewesen, dass die Pläne der Bundesregierung bisher hauptsächlich die Förderung von H2-ready-Gaskraftwerken vorsähen, nicht aber die technologieoffene Förderung anderer Anbieter von steuerbarer Leistung wie beispielsweise aller Arten von Speichern. Zum anderen wolle die Kommission verhindern, dass über eine Vergütung von vorgehaltener Leistung ein Kapazitätsmarkt durch die Hintertür in einen bisher nach dem „energy-only“-Prinzip funktionierenden Strommarkt eingeführt werde.(18) Eine Vergütung pro KWh sieht die Bundesregierung als auch die Branche allerdings als einen Fehlanreiz, da die geplanten Kraftwerkkapazitäten, wie beschrieben, lediglich als „Back-up“ in Zeiten hoher Residuallast bzw. tages- und saisonbedingter „Dunkelflauten“ oder drohender Netzengpässe Strom ein- oder ausspeisen sollen.
Erst wenn die deutsche Bundesregierung den beihilferechtlichen Bedenken der EU-Kommission begegnet, kann die zur Ausgestaltung der konkreten Ausschreibungsdesigns für die Wasserstoff-Hybrid- und Sprinterkraftwerke zuständige Bundesnetzagentur (§ 88e/f EEG) tätig werden. Dabei dürfen die Vergütungsmodelle allerdings nicht mit den Überlegungen zur Reformierung des Strommarktes, die sowohl auf nationaler Ebene – getragen von der vom BMWK eingesetzten PKNS – als auch auf europäischer Ebene laufen, kollidieren.
Wie sich Projektierer jetzt schon auf die EEG-Ausschreibungen der Wasserstoffkraftwerke vorbereiten können
Nach Brancheneinschätzungen werden sich die EEG-Ausschreibungen der Wasserstoffkraftwerke ins neue Jahr verzögern. Nichtsdestoweniger sollten Projektierer sich jetzt schon mit der Thematik beschäftigen und konkrete Konzepte entwickeln, um beim Start der Ausschreibungen vorbereitet zu sein. cruh21 unterstützt sie bei der ganzheitlichen Projektentwicklung.
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[1] „H2-“ oder „wasserstoff-ready“ meint, dass eine Komponente oder ein technisches System für die zukünftige Verwendung von Wasserstoff geeignet ist, vgl. TÜV Süd, „H2-Readiness Zertifizierung für Werkstoffe, Komponenten und Kraftwerke“ 2023, unter: https://www.tuvsud.com/de-de/branchen/energie/erneuerbare-energien/brennstoffzellen-wasserstoffzellen/h2-ready.
[2] Darunter fallen nach den Plänen der Bundesregierung sogenannte EE-Wasserstoff-Hybrid-Kraftwerke, wobei Wasserstoff in einer Anlagenkombination erzeugt, zwischengespeichert und wieder rückverstromt werden kann, als auch sogenannte Wasserstoff-Sprinterkraftwerke, die Wasserstoff oder Ammoniak rückverstromen. Siehe dazu den Abschnitt „Wasserstoff-Hybrid und Wasserstoff-Sprinterkraftwerke“. Für die Rückverstromung können beispielsweise Gas- und Dampftrubinen sowie Brennstoffzellen in Frage kommen. Das Gesetz definiert die Rückverstromungstechnologie nicht.
[3] Siehe den Bericht „Handlungsempfehlungen der Bundesregierung zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit mit Elektrizität“, 03.02.2023, S. 5ff. und S. 7, unter: https://dserver.bundestag.de/btd/20/055/2005555.pdf.
[4] Ressortabgestimmte Fassung, Fortschreibung der nationale Wasserstoffstrategie, Berlin 10.07.2023, S. 17.
[5] Ebd., S. 6. Zum Begriff der Systemdienlichkeit vgl. auch VDE Impulspapier, Netzdienliche Integration von Elektrolyseuren (2022), unter: https://www.vde.com/resource/blob/2226594/279eeea65a48407ecbd2227be6f190e9/netzdienliche-integration-von-elektrolyseuren-data.pdf.
[6] Entwurf zur NWS-Fortschreibung, S. 21.
[7] Siehe ebd., S. 17.
[8] Siehe ebd., S. 21f.
[9] Siehe Handlungsempfehlungen, S. 6, unter: https://dserver.bundestag.de/btd/20/055/2005555.pdf.
[10] Vgl. die Auskünfte des Ministeriums auf Mediennachfrage, in Tagesspiegel Background, Zeitplan für die Kraftwerksstrategie wackelt, 07.06.23, unter: https://background.tagesspiegel.de/energie-klima/zeitplan-fuer-die-kraftwerksstrategie-wackelt.
[11] Handlungsempfehlungen, S. 5, unter: https://dserver.bundestag.de/btd/20/055/2005555.pdf.
[12] Siehe vorhergien Abschnitt und den Verweis in Anm. 7.
[13] Hierbei können Onshore-WEA und PV nach bisherigem Stand auch miteinander kombiniert werden (siehe Abs. 1 § 39o EEG). Die genauen Anforderungen an die Ausschreibungen sind allerdings in einer noch zu erlassenden Verordnung zu konkretisieren (siehe ebd.).
[14] Siehe bayernet et al., „Quo vadis Wasserstoffkraftwerke?“, 2023, S. 38f.
[15] Siehe ebd., S. 44.
[16] Entwurf zur NWS-Fortschreibung, S. 21.
[17] Beachte dazu auch Abs. 3 § 39p EEG.
[18] Siehe die Berichterstattung in Tagesspiegel Background Klima & Energie, „Kraftwerksstrategie verspätet sich“, 06.07.23, unter: https://background.tagesspiegel.de/energie-klima/kraftwerksstrategie-verspaetet-sich.
Die Autorin: Benita Stalmann ist seit ihrer Gründung für cruh21 tätig. Davor gehörte sie dem AquaVentus-Koordinationsbüro an, aus der die cruh21 hervorging. Die studierte Geschichts- und Politikwissenschaftlerin arbeitete u.a. für den Bundesverband der Windparkbetreiber Offshore (BWO). Außerdem ist sie Teil der Geschäftsstelle Koordination und Kommunikation des vom #BMBF geförderten Wasserstoffleitprojektes #TransHyDE und gestaltet dort die externe politische Kommunikation maßgeblich mit.